Jedes Jahr findet im Rahmen der Bombardierung Dresdens am 13./14. Februar 1945 neben Gedenkveranstaltungen auch verschiedene Neonazi-Veranstaltungen statt. Knapp 1.000 Neonazis reisten dafür aus dem ganzen Land und dem nahen Ausland nach Dresden um in einer kurzen Runde durch die Innenstadt zu ziehen. Begleitet wurden sie von mehreren hundert Menschen, die dagegen protestierten und vereinzelt versuchten, den Aufmarsch zu blockieren.
Der Tag startete früh. Schon zu Mittagszeit trafen sich Neonazis am Bahnhof Mitte, um ihre alljährliche Demonstration durchzuführen. Diesmal gab es musikalische Begleitung durch Dresden Nazifrei, die spontan in Nähe des Bahnhofes eine Kundgebung genehmigt bekommen haben. So einfach lief es jedoch nicht immer: Die Polizei war mit über 1.000 Beamt*innen vor Ort und riegelten die Aufzugsstrecke der Neonazis systematisch ab. Jede Straße war blockiert, überall patrouillierten Beamt*innen. Trotzdem waren im ganzen Innenstadtbereich einzelne Gruppen unterwegs, die spontan gegen den Aufzug demonstrierten oder versuchten, diesen zu blockieren.
Staatsanwaltschaft sieht keine Shoah-Relativierung
Auch in diesem Jahr waren die Neonazis wieder mit einem die Shoah relativierenden Transparent unterwegs. 2021 schritt die Polizei dagegen ein und ließ das Transparent entfernen. Es folgte ein Verbot, das Transparent erneut zu zeigen. 2022 läuft das nun anders: Während der Antisemitismus im Land wieder auf dem Vormarsch ist, haben auch die Neonazis ihr Transparent wieder dabei und zeigten dieses in ihrem Aufzug. Die Polizei reagierte vor Ort nicht und ging auch nicht auf den Menschen ein, der das Transparent anzeigen wollte. Auf Twitter folgt dann die Erklärung: Die Staatsanwaltschaft sehe in dem Transparent keine strafrechtliche Relevanz.
Wenige Meter weiter sammelten sich auf dem Zwinger Menschen, die spontan gegen den Aufzug demonstrieren. Bis zum Endpunkt wurde der Aufmarsch von spontanen Protesten begleitet. Immer wieder gab es kleinere Blockadeversuche, die von der Polizei sofort geräumt wurde. Auch die Proteste wurden nicht näher an den Aufzug gelassen, meistens wurden die Menschen in Seitengassen festgesetzt und zum weggehen aufgefordert. Das hinderte eben diese jedoch nicht daran, in der nächsten Seitengasse wieder ihr Glück zu versuchen.
Die rechtsextreme Wellenlänge auf dem Neumarkt – Querdenker*innen demonstrieren mit und bedrängen Pressevertreter*innen
Die rechtsextreme Wellenlänge um Madelaine F. sammelte sich in kleiner Runde auf dem Neumarkt. Hier wurde ein geschichtsrevisionistischer Text abgespielt, der viele Menschen auf ihrem Weg stoppte. Umstehende Aktivist*innen versuchten den Menschen klar zu machen, dass das keine Aktion der Stadt Dresden ist, sondern dass hier organisierte Neonazis stehen. Auch die rechtsextreme Partei „Freie Sachsen“ rief zu der Kundgebung auf, zog damit aber nur lediglich bis zu 10 Menschen. Diese Querdenker*innen suchten sofort den Streit mit den Menschen um sie herum: „Was ist das für Abschaum?“ rief eine Frau mehrfach. Die Maskendiskussionen ließen nicht lange auf sich warten.
Die Stimmung heizte sich auf, da die Querdenker*innen immer näher an die Menschen gingen. Auch die Journalist*innen vor Ort wurden sofort bedrängt, als sie mit Fotoaufnahmen starteten. Ein Mann mittleren Alters verfolgte dabei eine Journalistin über einen längeren Zeitraum, belästigte diese und wollte private Informationen erhalten. Die Polizei war die ganze Zeit über nicht vor Ort.
Erst als eine größere Gruppe Antifaschist*innen auf dem Neumarkt ankamen, raste die Polizei auf den Platz, umstellte die Neonazi-Kundgebung und hielt die Menschen auf Abstand. Die Querdenker*innengruppe war bis dahin längst vom Platz verschwunden. Nun wurde Gegenprotest angezeigt und von der Kundgebung war nichts mehr zu hören oder zu sehen.
Auch hier blieb es friedlich und kurze Zeit später zog der Protest wieder ab. In der Innenstadt kehrte vorerst Ruhe ein, denn die nächsten Veranstaltungen sind erst in den Abendstunden. Das veranlasste Journalist*innen und ein Teil der Proteste in den Dresdner Stadtteil Laubegast zu fahren. Hier findet seit Wochen jeden Sonntag teils gewaltsame Querdenken-Aufmärsche statt. Auch an diesem Sonntag folgten dem Aufruf bis zu 300 Menschen.
Journalist*innen werden attackiert und gejagt – Polizei ermittelt gegen die Opfer
In Laubegast kam es zu brutalen Jagdszenen. Auch hier war die Polizei nicht vor Ort, als die anwesenden Journalist*innen über 500 Meter weit durch den Stadtteil gejagt wurden und dabei mit Schlägen und Tritten traktiert worden. Einzelne berichteten, dass die Gewalttäter*innen auch mit Fahrradketten bewaffnet waren. Ein*e Journalist*in rief die Polizei, während der anwesende Personenschutz sein bestes tat, um die Angreifer*innen auf Abstand zu halten.
Im Hintergrund filmte Querdenken-Aktivist Marcus Fuchs das Geschehen. Die attackierten Journalist*innen berichteten, dass er zu keinem Zeitpunkt versuchte, die Menge zu beruhigen. Er filmte lediglich die Angriffe und später verkündete die „Freien Sachsen“, dass die Journalist*innen den „friedlichen“ Protest angegriffen haben sollen.
Die Polizei vor Ort ging ebenfalls von einer Gefahr durch Journalist*innen aus und ließ die Angreifer*innen ziehen. Stattdessen wurden die Journalist*innen und der Personenschutz wegen „gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung“ angezeigt. Eine Kamera der Journalist*innen wurde bei den Angriffen zerstört.
Weitere Neonazi-Kundgebung und die Menschenkette auf dem Altmarkt
Pünktlich um 18 Uhr schloss sich auf dem Altmarkt die alljährliche Menschenkette. Um diese halbwegs Corona-konform durchzuführen, wurden dieses Jahr elastische Bänder genutzt, um die Abstände zueinander etwas zu vergrößern. Ein Mensch hat für die Menschenkette ein Schild gegen die rechtsextreme Partei „Freie Sachsen“ und für die Demokratie gemalt, dieses durfte er aber nach Aufforderung der Ordner*innen nicht zeigen. Auf Nachfrage hieß es, die Auflagen der Stadt Dresden verbieten das. Das Schild zeigte er trotzdem, wenn auch umgedreht. Somit konnte die Neonazi-Kundgebung im Rücken der Menschenkette dieses lesen.
Hier sammelten sich neben der rechten Aktivistin Katja K. und dem Szeneanwalt Jens Lorek auch vermummte Neonazis. Ein*e Journalist*in hat dabei einen der Freitaler Terrorist*innen ausgemacht, der vollvermummt die Menschenkette beobachtete. Die Kundgebung war den ganzen Tag über Anlaufpunkt für vereinzelte Neonazis. So kam es tagsüber zu Auseinandersetzungen mit umstehenden Menschen. Im Zuge dessen und in Anwesenheit der Polizei wurden Presseverteter*innen mehrfach bedroht. Man forderte uns auf, die Kamera beiseite zu nehmen. Die Polizei ignorierte die Drohungen und schob die Neonazis beiseite.
Um 21 Uhr folgte dann die letzte rechte Kundgebung: Wie jedes Jahr legt die AfD verschiedene Kränze auf dem Altmarkt ab. Auch in diesem Jahr war Ex-AfDler André Poggenburg mit einem Kranz vor Ort und auch Jürgen S. von der „Offlinevernetzung“ legte einen schwarz-weiß-roten Kranz ab. Begleitet wurde diese Kundgebung von lautstarkem Gegenprotest.