Wieder ein aufregender Tag in Dresden. Neben AfD-Bundestagskandidat Jens Maier (AfD) kündigte Lutz Bachmann für diesen Montag Björn Höcke (AfD) an. Die Antwort darauf war ein großer zivilgesellschaftlicher Protest. Aber auch Neonazis aus ganz Sachsen reisten an.
Bis zu zweitausend Menschen ziehen durch die Innenstadt. Laute Musik schallt durch die Straßen, Redebeiträge werden verlesen und die meisten fordern eins: Höcke raus aus Dresden. Dieser sprach am 13. September 2021 vor dem Dresdner Hauptbahnhof bei PEGIDA. B. Höcke hat Erfahrungen in Dresden gesammelt. Da wäre die Brandrede von 2017, wo er bei einer JA-Veranstaltung im „Ballhaus Watzke“ forderte, dass Schluss sei mit dem Gedenken an die Shoah. Der Gegenprotest vor dem Haus wurde damals immer wieder von der Polizei angegriffen. Oder im Rahmen des 13. Februars, wo B. Höcke an den Neonazi-Aufmärschen in Dresden teilnahm. Tag und Ort stimmte heute. Und die Stimmung passte auch zum 13. Februar.
Die Polizei selbst war in normaler Stärke vor Ort. Bedeutete, dass viele Abschnitte nicht geschützt waren. Angetrunkene Neonazis hätten also einfach nur über die Straßenbahnschienen laufen müssen, wo der Gegenprotest artig hinter Hamburger Gittern stand. Gitter, die die Polizei händisch noch umstellen musste, denn sie standen falsch und verkleinerten die genehmigte Fläche des Protestes.
Die Stimmung war von Anfang an aufgeheizt. Den Tag startete eine Kundgebung der rechten Partei „Freie Sachsen“. Hier nahmen neben verschiedenen teilweise bundesweit bekannten Neonazis auch der Versammlungsleiter Taufkirch von PEGIDA teil. Etwas verwunderlich ist es schon, da PEGIDA sich sonst penibel von rechten Bewegungen distanziert, das auch schon für Unmut bei der neonazistischen Kleinstpartei „Die Rechte“ sorgte.
PEGIDA startet und der Gegenprotest wurde laut. So dauerte es nicht lange, dass erste Beschwerden bei den eingesetzten Beamt*innen laut wurden. Man entrollte die Deutschlandfahnen und dahin war das Recht auf Protest in Sichtweite. Kein Problem. Auch nicht, dass die Teilnehmer:innen sich dafür hinter die Hamburger Gitter stellten und somit nicht mehr auf der Versammlungsfläche von PEGIDA standen. Die Polizei war anderweitig beschäftigt. Grund war ein AfD-Wahlplakat. Dieses wurde von Demonstrant*innen nach unten gezogen, da man keine Werbung für diese demokratiefeindliche Partei machen wolle. Sofort waren einzelne Beamt*innen zur Stelle und forderten die Menschen auf, das Plakat wieder nach oben zu schieben. Sie mussten der Anweisung folgen, hängten dann das Plakat aber mit einem Transparent ab.
Während die Polizei also bedacht darauf war, dass jedes AfD-Plakat im Gegenprotest gut sichtbar war, sammelten sich Neonazis. Sie tranken, sie pöbelten, sie drohten. Journalist*innen wurden bedrängt, ein Team wurde angegriffen. Der Journalist klagte über Schmerzen im Oberkörper. Es schallt „Höcke, Höcke, Höcke“ über den Platz. Ein mulmiges Gefühl macht sich breit. Tourist*innen haben schon seit einer Weile den Bereich um den Hauptbahnhof fluchtartig verlassen. Nur einzelne, die zu ihrem Zug müssen, sind noch vor Ort.
Mehrere Angriffe auf Journalist*innen – Die Polizei zögert
Mit dem Start des Demonstrationszuges setzt sich ein Mob von Neonazis und typischen PEGIDA-Rentner*innen in Bewegung. Zusammen bedrängten sie eine Gruppe Journalist*innen. „Die letzte Chance!“ rief ein Neonazi, während er versucht die Journalist*innen mit dem Fahrrad zu erwischen. Ein Rentner schlägt auf einen Menschen ein, der den Journalist*innen helfen wollte. Danach schlug er auch auf mich ein. Die Menge ist aufgestachelt und die Polizei? Die stand in unserem Rücken. Die meisten mit Blick zum Gegenprotest. Eine einzelne kleinere Gruppe schaute zu uns und wartete. Erst sehr spät, als es schon fast zu langweilig für die Angreifer*innen war, kamen eine Handvoll Beamt*innen und stellten sich im Kreis neben die Journalist*innen auf. „Es ist jetzt auch mal gut!“ meinte einer sanft und schob einen der Angreifer*innen beiseite. Neonazis posierten vor den Beamt*innen, es folgt ein letzter Schluck aus der Bierdose.
Unterwegs hallte es „Abschieben, Abschieben, Abschieben!“. People of Color sind das Ziel, die an den Haltestellen alleine standen. Die PEGIDA-Menge ist aggressiv. Kurz vorm Rathaus dann die erste Blockade. Die Menge skandiert „Räumen!“, die Polizei leitet PEGIDA jedoch einfach auf die andere Fahrspur. Umstehende Menschen wurden von der Blockade weggestoßen. Ein*e besonders engagierte*r Beamt*in schlug mehrfach nach meiner Kamera. Erst als ich mehrfach laut betonte, ich sei von der Presse, wurde im aggressiven Tonfall Presseausweis und Personalausweis gefordert. Ich durfte weitermachen.
Richtung Haltestelle Prager Straße dann der zweite Blockadeversuch. Mit diesem zogen Beamt*innen ab und die erste Blockade löste sich sprunghaft auf und rannte weg. Und mit ihr direkt Neonazis, die wie schwarze Schatten aus dem Protestzug verschwanden und hinterher rannten. Polizei? Nur eine Handvoll vor Ort. So recht begleitet wurde der PEGIDA-Zug nicht. Das Hauptaugenmerk lag auf Blockadeversuche. Die Beamt*innen, die am Bahnhof fehlten, waren auf der Prager Straße positioniert.
Auf der Prager Straße gab es immer wieder spontanen Protest in den Seitengassen. Es klirrte. Mindestens ein Mensch wurde verletzt und später notärztlich behandelt. Er gehörte wohl zum Gegenprotest. Am Bahnhof angekommen führte eine Gruppe Dynamo-Hools den Zug an. Einer streckte den Arm nach oben zum Hitlergruß und wird dann sofort von zwei Beamt*innen abgeführt. Das wirkte etwas gelangweilt, umso erstaunter waren die Beamt*innen, als dann eine Gruppe auf sie zu rannten und versuchten, den Neonazi zu befreien. Einer bekam durch eine*n Beamt*in einen Schlag ins Gesicht und die Menge hielt Abstand.
Jagdszenen im Hauptbahnhof – Journalist*innen flüchteten vor Neonazimob
Vor dem Bahnhof dann die schockierende Geschichte: Zwei Journalist*innen flüchteten sich vor einer Gruppe Neonazis der kriminellen Vereinigung „Freie Kameradschaft Dresden“ in den Bahnhof. Auf einem Gleis suchten sie Schutz, bis der Mob vermummt an den Treppen stand. Es grenzte an ein Wunder, dass die beiden Journalist*innen unverletzt aus dem Bahnhof kamen.
Am Ende drohte die Polizei einem Ordner, man werde in den Gegenprotest gehen und unmittelbaren Zwang anwenden, wenn die Demonstrant*innen nicht aufhören, die Tröten zu nutzen. Am Ende einigte man sich auf Pausen zwischen den Tröten. Schockiert war man trotzdem über diese Ansage.
In den späten Abendstunden zeigte dann ein Neonazi einen 17-jährigen Jugendlichen wegen Beleidigung an. Die Polizei nahm den Jungen beiseite und nahm die Personalien auf. Seine Kumpels, alle zwischen 12-14 Jahre, schoben Panik. „Die schieben den jetzt bestimmt nach Afghanistan zu den Taliban ab!“ rief einer mehrfach. Der Junge wurde nach etwas Zeit zurück zu seinen Kumpels gelassen. Aber in Ruhe ließen ihn die Beamt*innen nicht. Kurze Zeit später wurde er abgeführt. Grund? Gab es keinen. Auf meine Nachfragen antwortete man, das sei eine reguläre Identitätskontrolle. In einer dunklen Gasse? Zum zweitem Mal? Ja, das sei so Standard, meinte der Beamte. Er lief mit fünf Beamt*innen durchs Viertel. In die eine Straße rein und dann doch wieder zurück. Es wirkte planlos. Und einschüchternd. Am Ende wartete die Kriminalpolizei auf ihn, die ihn später wortlos in ein Auto setzte und mitnahm. Seine Kumpels blieben zurück. Sie streamten das Geschehen auf TikTok und riefen immer wieder: „Er hat nichts getan! Nur weil er Ausländer ist, wird er hier mitgenommen! Er hat nichts getan!“
Von all dem nichts gewusst? Polizei verschweigt in Pressemitteilung Übergriffe
Von all dem war in der Pressemitteilung der Polizei Sachsen vom 13. September 2021 nichts zu lesen. Alles war ruhig, alles war schön. Nur der Gegenprotest, so die Polizei, soll den PEGIDA-Zug mehrfach angegriffen haben. Man erklärte, gegen wen vom Protest ermittelt wurde. Nur sehr wenige Journalist*innen lobten im Nachgang das Medienschutzteam der Polizei. Ich selbst erfuhr nur zufällig von der Existenz dieser Gruppe und kann nicht behaupten, dass die Polizei mich auch nur einen Moment geschützt hat. Das sie das besser kann, bewiesen sie eine Woche zuvor, als sie konsequent Übergriffe auf uns bei Querdenken verhinderte.
Für den Gegenprotest war der Tag ein Erfolg. PEGIDA fühlte sich sichtlich gestört vom Protest. Mehrfach drohte man, die ganze Veranstaltung abzubrechen, wenn man sich nicht den Forderungen fügte. Am Ende machte man dann doch weiter. Es kam dabei wohl auch zu Streitereien unter den PEGIDA-Initiator*innen im Livestream.