Afghanistan: 300 Menschen in Dresden auf der Straße
Es ist ein verregneter und kalter Montag in Dresden. Auf dem Altmarkt versammeln sich über 300 Menschen, darunter die meisten Afghan:innen. „Das Wetter leidet mit uns Afghanen!“ meint eine Teenagerin und klammert sich etwas fester an ihre Afghanistan-Flagge. Die Seebrücke Dresden, der Sächsische Flüchtlingsrat und der Dresdner Verein Afghanistan e.V. riefen an diesem Montag dazu auf, in der Innenstadt zu demonstrieren. Das das möglich war, ist nicht selbstverständlich. Die Dresdner Versammlungsbehörde versuchte die Kundgebung auf dem Altmarkt unmöglich zu machen. Sie sollte wegbeauflagt werden, damit 40 Querdenker:innen ihre kruden Theorien über den Platz schreien dürfen. Nun teilten sich beide Kundgebungen den Platz.
Heute wehen auf diesem Platz Afghanistan-Flaggen. Man wünscht sich Frieden, man bittet um Hilfe. Viele Familien stehen im Regen, die großen Kinder und die Eltern mit Bildern und bemalten Plakaten, etwas abseits spielen ein paar Kinder fangen. Das Mikrophon ist offen für alle, die etwas sagen wollen. Wir hören emotionale Reden, wütende Reden. “ Als ich mir die Bilder aus Afghanistan angeschaut habe, war ich sehr wütend aber gleichzeitig auch traurig.“ berichtet Ahmad. Ein Redebeitrag wird abgespielt, es folgt Musik und die Menge singt.
Der Dresdner Afghanistan e.V. [fordert], dass die Evakuierung für Menschen, die besonders bedroht sind, schneller und unbürokratisch passiert. Außerdem fordern wir, dass Geflüchtete in den Nachbarländern Afghanistans so schnell wie möglich z.B. im Iran oder Pakistan Hilfe und Unterstützung erhalten. Wir fordern von der Bundesregierung, dass Afghanen ihre Familienmitglieder schneller und unbürokratisch nachholen dürfen. Wir wollen auch, dass angesichts der schwierigen Lage in Afghanistan, Afghanen in Deutschland ihre Anliegen unbürokratischer erledigen können. Schließlich sagen wir laut: Nein zu Taliban
Dresdner Verein Afghanistan e.V.
Abseits stehen Kleingruppen von Polizist:innen. Die meisten schweigen, andere äußern sich abfällig über die Kundgebung. Zwei rechte Streamer:innen nähern sich der Kundgebung, dass sei in Ordnung, meint die Polizei. Fünf Beamt:innen stehen nun für ihren Schutz da, etwas, wovon wir Journalist:innen sonst nur träumen. Sie filmen die Menge ab, machen Fotos. Man spricht über Familien, die man erkennt, denn die eine Kamera gehört zu einer, nach eigenen Aussagen, Mitarbeiterin des DRK Pirnas. Sie arbeitete 2015 in Heidenau und meint, man müsse ja differenzieren zwischen solchen und solchen. Die Kamera fokussiert sich auf die Familie, persönliche Daten werden mit dem pöbelnden Mob in ihrem Stream geteilt. Die Aufnahmen sind im Kasten, die beiden ziehen ab. Kurz danach sammeln sich zwei Querdenker:innen am Rand. Ein Ordner, der wenige Wochen zuvor einen Journalisten angriff, baut sich am Rand auf. Die Polizei bittet ihn lediglich, die gelbe Weste abzunehmen.
Doch der Abend blieb friedlich. Immer wieder schallen Sprechchöre über den Platz. Es ist eine Mischung aus Hoffnung, Wut und Angst. Die Taliban beginnen in Afghanistan wieder mit Hinrichtungen, unter den wachsamen Augen der Welt. Sind Bekannte darunter? Diese Angst verfolgt die Menschen jeden Tag. Der 31. August erscheint drohend am Horizont, der Tag, an dem das Ende der Evakuierungen nahen soll. Ein Ultimatum, mit den Islamist:innen ausgehandelt. Schaffen es die Menschen raus? Die Hoffnung schwindet angesichts der Bilder vom Flughafen in Kabul. Menschen stehen in Abwassergräben, winken mit ihren Visa. Ein kurzer Blick auf die Liste, ein Kopfschütteln. Einer der Ortskräfte, der für Deutschland arbeitete, muss seine Familie nehmen und wieder gehen. Der Name steht nicht auf der Liste. Die Flieger, die abheben, sind erschreckend leer. Nur wenige Menschen wird die Flucht, die Sicherheit gewährt.
Wir waren so laut, es war unmöglich, dass die Politik uns überhört. Heute ist klar, sie sollten es nicht hören – sie hatten andere Ziele. Wir waren so laut, doch vieles ist jetzt zu spät. Doch es ist noch nicht zu spät, um noch mehr Menschen zu retten! Deswegen fordern wir die Regierung in Dresden auf, jetzt ein Landesaufnahmeprogramm zu verabschieden. Es gilt Frauen und Mädchen, denen Zwangsheirat droht, zu evakuieren. Besonders gefährdete Menschen, die sich für Demokratie und Rechtsstaat eingesetzt haben, müssen jetzt evakuiert werden. genau wie alle ethnischen und religiösen Minderheiten.
Sächsischer Flüchtlingsrat
Die deutsche Politik will sich aus der Verantwortung ziehen. Kanzler:innenkandidat Laschet (CDU) heizt Rassist:innen an und betont, dass 2015 sich nicht wiederholen dürfe. Man spielt mit der Angst, befeuert den Rassismus erneut, in dem Wissen, dass 2015 auch geprägt war, von einer Welle von Gewalt, Hass und Anschlägen. Das nimmt man gerne in Kauf, nur, damit schutzsuchende Menschen nicht nach Deutschland können. Wie viele rechte Wähler:innenstimmen ist ein Menschenleben wert?