Querdenken – Wenn die journalistische Arbeit unmöglich gemacht wird
Querdenken, eine rechtsgerichtete und demokratiefeindliche Bewegung, die im Zuge der Lockerungen Teilnehmer:innen auf der Straße verliert. Der „harte Kern“ bleibt übrig und wir können nun live und in Farbe eine noch schnellere Radikalisierung beobachten. Denn Querdenken braucht Feindbilder, um ihren Kampf zu rechtfertigen. Wie tut man das, wenn Maskenpflicht und Abstandsregelungen fallen?
Um sich aus der Bedeutungslosigkeit zu retten hat die Dresdner Querdenken-Bewegung auf den westdeutschen Impfgegner Björn „Banane“ oder den im „Exil in Tansania“ lebende Bodo Schiffmann zurück. Doch trotzdem kam die Bewegung nicht an die 200 Teilnehmer:innen heran. Lediglich 100-150 Menschen haben sich an diesen Dienstag am Altmarkt versammelt.
Wer von Querdenken berichten will, der muss sich Gedanken machen, nicht als Feindbild erkannt zu werden. Nicht zu lange mit Maske gesehen werden, Maskenträger:innen werden von einzelnen Teilnehmer:innen vom Platz gescheucht. Die Kamera aber ist das größte „Problem“, sie markiert uns klar und deutlich als Pressevertreter:innen. In bekannter PEGIDA-Manier ist auf der Bühne und bei Gesprächen unter den Teilnehmenden klar: Die Presse lügt nur. Man kann sich lediglich auf die „alternativen“ Medien verlassen. Das sind oft Blogger, wie der rechte Elijah T., die sich als Journalist:innen ausgeben, und die Masse weiter anheizen. Aber auch auf Propagandamedien wie Russia Today (Россия Сегодня, RT) greift man gerne zurück.
Seit ein paar Wochen höre ich von Kolleg:innen von vue.critique, dass die Teilnehmer:innen sie als Verfassungsschutzmitarbeiter:innen markieren. Auf dem ersten Blick denkt man sich: Wie lustig! Wie kommen sie da drauf? Doch dann häufen sich die Übergriffe. Es vergeht kein Demo-Tag, wo diese jungen Journalist:innen nicht angegriffen oder in ihrer Arbeit behindert werden. Die Polizei ist da oft wenig hilfreich.
Pressevertreter:innen als Verfassungsschutz markiert
Wie kommt Querdenken darauf, so auffällige Menschen wie Pressevertreter:innen als Verfassungsschutzmitarbeiter:innen zu markieren? Meine Vermutung ist da einfach: Querdenken wähnt sich im Krieg gegen „die da oben“. Hier greifen sie vor allem auf (vorrangig antisemitische) Verschwörungsideologien zurück. Diese sind jedoch nicht greifbar. Die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus waren greifbar, fallen nun aber. Gegen was ist man dann eigentlich noch? Mit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz fühlen sich solche Menschen bestätigt in ihrem Tun. Es würde wirken, was man da tut, deswegen wird man nun überwacht. Hier greifen dann schräge Vergleiche in Richtung einzelner Widerstandskämpfer:innen aus dem Nationalsozialismus. Doch auch die Mitarbeiter:innen sind für das ungeschulte Auge nicht zu erkennen. Die Menschen die da auf dem Platz stehen, brauchen aber etwas zum anfassen – im wahrsten Sinne des Wortes. Wer passt also besser, als der Mensch mit Kamera am Rand?
Gestern konnte ich das das erste Mal selbst beobachten: Als vue.critique durch mehrere Querdenken-Teilnehmer:innen direkt vor der Polizei bedrängt wurde, und die Beamt:innen nicht eingriffen, ging ich selbst dazwischen und fiel in denselben Topf wie die jungen Journalist:innen. Nun startete das Geflüster unter den Ordner:innen. „Der Verfassungsschutz hat neue Leute geschickt!“ hieß es da. Und ab da hatte ich regelmäßig eine Hand vor der Kamera. Überall klickten Handys, ich wurde beleidigt und selbst bedrängt. Aufnahmen seien verboten, ruft man hysterisch. Bei jeder Aufnahme stürmt ein Mensch aus der Masse und will mich anzeigen. Die Polizei reagiert gelassen, manchmal etwas zu gelassen. Bedrängungen und Angriffe beobachten sie passiv. Nur bei einem Menschen, der durch seine Aggressivität auffiel und in der Vergangenheit vue.critique schon schwer angriff, ging die Polizei dazwischen. Eher freundlich schlichtend. Als immer mehr Teilnehmer:innen zu den Beamt:innen stürmten und verlangten, man solle uns entfernen, wurde der Ton rauer. Man habe, so die Polizei, die Ordner:innen nun schon oft genug ermahnt, dass sie die Pressevertreter:innen in Ruhe lassen sollen.
Angriff auf mich und eine beängstigende Zusammenarbeit bei Querdenken
Mit der Markierung als Verfassungsschutz wurde den Menschen bei Querdenken „der Feind“ auf dem Silbertablett serviert. Man verliert alle Hemmungen und rechtfertigt sich selbst, im Widerstand zu sein. Als der Anmelder Marcus Fuchs auf der Bühne verkündet, dass der Verfassungsschutz mit Kameras da ist, wissen nun auch die letzten, wo sie ihre von Querdenken gesteuerte Wut abladen können.
So sehe ich die auf mich zustürmende Frau durch den Sucher. Ich machte ein Überblicksbild als am unteren Rand ein Kopf erscheint und die Hand auf mich zukam. Meine eigene Kamera wurde mir ins Gesicht geschlagen. Auch hier hatte ich wenige Meter abseits die Polizei. Und wieder griff sie nicht ein.
Am Ende der Veranstaltung tummelte sich am Restaurant Hacker-Pschorr am Altmarkt eine Menge um vue.critique, der die Abreise dokumentierte. Ein Dutzend Menschen versucht an ihn ranzukommen, lediglich aufgehalten durch ein:e Kolleg:in und einen weiteren Menschen. Die Polizei verschwand mit Auflösung der Demonstration vom Platz. Auch aus dem Restaurant kamen immer wieder Männer, die ihr Glück von der Seite versuchen wollten und nach der Kamera griffen. Sie bauten ein Bedrohungsszenario auf, während in ihrem Rücken Neonazis zufrieden die Technik abbauten. Eine beängstigende Allianz, denn Übergriffe und so eine Aggressivität kennt man sonst eher von Neonazis. Doch diese Menschen bei Querdenken übernehmen ihren Job.
Genau das kann man seit langem bei Querdenken beobachten. Neonazis agieren im Hintergrund, organisieren und stellen gerne auch die Ordner:innen. Richtig aktiv werden dann die Mütter, die Rentner:innen, gestandene Menschen. Der Moment, wo die Hufeisentheorie in sich zusammenbricht. Die angebliche Mitte steht rechts und kämpft gegen die Demokratie und ihre Werte.
Kein Gegenprotest – aber lautstarke Passant:innen
Gegen Querdenken alleine will man nicht mehr protestieren. Die Energie kann man sinnvoller nutzen. Trotzdem erscheinen jeden Montag einzelne Menschen und beobachten das Spektakel. Am Rand stehen sie und oft wird auch kurz etwas gerufen.
Hervorheben für den Dienstag möchte ich aber drei Menschen: Der erste war ein:e Tourist:in. Am Altmarkt ließ diese:r das Taxi halten und fragte kurz und knapp: „Sind das Nazis?“ Kurzes nicken. Die meisten, ja. Und plötzlich rutschte er weiter hinaus aus dem Fenster und startete einen eigenen Gegenprotest. Die Querdenken-Menge buhte, das Taxi fuhr weiter. Ein älterer Mensch folgte, der bis an die Bühne ging und seinen Unmut kund tut. Auch hier wurde er, zum Glück, nur ausgebuht. Als die kruden Geschichten immer schlimmer wurden, stürmte ein Mann in Hemd aus einem nahen Restaurant. Er hat die Schnauze voll von den ganzen Lügen.
Erst letzte Woche kassierte ein:e Restaurantmitarbeiter:in von Hacker Pschorr Schläge, als diese:r sich an der Bühne über die Lautstärke beschwerte. Ein Punkt, der nicht neu ist. Querdenken und PEGIDA drehen auf. So richtig. Die Behörden finden das okay. Die Lautstärke wird lediglich beim Gegenprotest gemessen, bei dem die Boxen die meiste Zeit still sein müssen.
Während PEGIDA sich darauf geeinigt hat, vor allem verbal aggressiv aufzutreten, geht Querdenken in die Tat über. Was ich gestern erlebte, hatte ich so noch nie. Auch nicht bei PEGIDA, wo es nur wenige Personen gibt, die sich so auf Pressevertreter:innen konzentrieren. Was wir beobachten ist eine aggressive und gewalttätige Bewegung, die durch das passive Zuschauen der Polizei und durch die aktive Zusammenarbeit mit den Behörden unterstützt und weiter verschärft wird.