Das war Mord! – Über 2.000 Menschen demonstrieren in Dessau
Am 07. Januar 2005 findet man Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau verbrannt. Er war an Händen und Füßen gefesselt, mit Brandbeschleuniger übergossen und angezündet worden. Die Mär, er hätte es selbst getan, wurde von Anfang an bezweifelt. Der Fall beschäftigt die Staatsanwaltschaft bis heute – nicht zuletzt, weil die Initiative „Oury Jalloh“ nicht locker lässt.
Seitdem findet jedes Jahr an diesem Tag eine Gedenkdemonstration statt, die endlich eine lückenlose Aufklärung fordert. 2022, trotz Pandemie, fanden sich über 2.000 Menschen in Dessau ein. Die Polizei hielt sich an diesem Tag zurück, trotz Großaufgebot.
Auf dem Vorplatz des Bahnhofes gibt es viel zutun. Organisator*innen kochen Tee, in einem Zelt wird essen zu bereitet. Aus dem Bahnhof strömen ununterbrochen Menschen heraus, aus ganz Deutschland sind sie in das sachsen-anhaltinische Städtchen Dessau gekommen. 14 Uhr startet Musik, die ersten Gruppen stellen sich auf. Sie haben eigene Plakate, Transparente und Fahnen. Dominierend an diesem Tag war der kommunistische Hammer und Sichel. Während die einen auf Plakaten die Aufklärung des Falls Oury Jalloh und ein Ende der Polizeigewalt fordern, liest man wenige Meter Anklagen gegen Die Linke und die SPD, die rein kapitalistische Parteien seien. Es folgt Parteiwerbung für die Internationalistische Gruppe und die vom Verfassungsschutz beobachteten MLPD, die dem Stalinismus nahe steht. Ein bizarres Bild, das sich den Abend über fortsetzen wird.
Kurz nach 15 Uhr setzt sich der Demonstrationszug in Bewegung. Polizei fand sich lediglich am Anfang und Ende der Demonstration und punktuell in den Seitengassen. Von polizeifeindlichen Sprechchören ließen sich die Beamt*innen weniger provozieren. Immer wieder wurden vereinzelt Böller und Rauchtöpfe gezündet. Über eine Anzeige informierte die Polizei über Maskenpflicht und Abstandsregelung. Letzteres wurde den Tag über wenig Beachtung geschenkt. Einzelne Gruppierungen fielen außerdem damit auf, dass sie konsequent auf Masken verzichteten.
„Wir müssen die BRD durch eine Diktatur des Proletariats ersetzen!“
In der ganzen Innenstadt gab es verschiedene Zwischenstationen. Hier wurden Redebeiträge gehalten. Es war ein Wechsel der Gefühle: Emotionale Reden von Hinterbliebenen teilten ihrer Schmerz über den Verlust. Kämpferische Reden forderten wiederum die lückenlose Aufklärung der Fälle, denn nicht nur Oury Jalloh starb in Polizeigewahrsam, und einen konsequenten Kampf gegen Polizeigewalt. Und dazwischen wurde aufgefordert die Bundesrepublik Deutschland abzuschaffen und durch eine Diktatur des Proletariats zu ersetzen. Man sagte „imperialistischen Kriegen“ den Kampf an, dabei nannte man die Staaten USA, Deutschland und Frankreich und forderte einen Panafrikanischen Kampf gegen jede Form des Imperialismus. Aus einer Gedenkdemonstration, einer Demonstration gegen Polizeigewalt, wurde eine rein kommunistische Demonstration.
Das folgte zu teilweisen Spannungen im Demonstrationszug. Während die Kommunist*innen die „internationale Solidarität“ forderten, antworteten vereinzelt Gruppen, dass es sich um eine „antinationale Solidarität“ handeln müsse. Auch gab es mindestens ein Sprechchor, der sich gegen Antisemitismus und auch indirekt gegen Gruppierungen richtet, die in der Vergangenheit immer wieder antisemitisch aufgefallen sind. Gerade in Bezug auf Israel werden immer wieder antisemitische Verschwörungen geteilt, wobei die MLPD dabei oft an vorderster Front steht. Diese Partei ist außerdem dafür bekannt, dass sie versucht andere Demonstrationen zu vereinnahmen.
Die Demonstration verlief soweit friedlich. Lediglich an einer Kreuzung schimpfte ein Autofahrer und beleidigte den Protest. Daraufhin suchte ein*e Demoteilnehmer*in den direkten Kontakt und es kam zur Prügelei zwischen beiden. Es dauerte einige Momente, bis die Polizei anrückte und die Menge teilte, denn zwischenzeitlich hat sich ein Teil des Protestzuges zu den Menschen bewegt, als einer rief, es seien Neonazis am Protest aufgetaucht. Nun herrschte Spannung im Protest. Die Organisator*innen beschwerten sich bei einzelnen Gruppen, die nun aggressiver auftraten und vereinzelt Streit mit der Polizei suchten. „Das ist unsere Demonstration, hört auf damit!“ rief ein älterer Mann verzweifelt und wurde ausgelacht und stehen gelassen. Einige Demonstrationsteilnehmer*innen, die immer wieder negativ auffielen, waren sichtlich betrunken und standen teilweise unter dem Einfluss von Drogen.
Trotzdem kam es zu keinen weiteren Vorfällen. Auch die Polizei zog sich nach dem einen Vorfall wieder zurück. Der bitte der Organisator*innen, auf Parteifahnen zu verzichten, kam man während des ganzen Aufmarsches nicht nach.