Demonstration

Totales Staatsversagen: Ausschreitungen mit Ansage bei „Querdenken“ in Leipzig

Gestern versammelten sich bis zu 30.000 Corona-Leugner:innen rund um „Querdenken“ in der Leipziger Innenstadt. Dabei kam es zu teils heftigen Ausschreitungen gegen Journalist:innen, Polizei und Passant:innen.

Im Vorfeld versuchte die Stadt Leipzig diese Veranstaltung mit den Corona-Regelungen in Einklang zu bringen. Übernachtungen in Hotels aus touristischen Zwecken sind verboten und auch Busanreisen wurden untersagt. Als letzten Schritt verlegte die Versammlungsbehörde Leipzig die Kundgebung an die Neue Messe, damit dort die geforderten Abstandsregelungen eingehalten werden können. „Querdenken“ meldete jedoch den Augustusplatz für 16.000 Teilnehmer:innen an und ging gegen die Entscheidung vor Gericht. Das Oberverwaltungsgericht kippte die Entscheidung und so feierten über 30.000 Menschen ohne Maske und Abstand in der Leipziger Innenstadt.

„Ich bin ein COVIDJUD'“ mit diesem und anderen antisemitischen Sprüchen zogen mehrere tausend Menschen durch Leipzig.

Der Protest von „Leipzig nimmt Platz“ wurde an den Rand des Augustusplatz verlegt. Die Polizei trennte hier die Lager nicht: So konnten immer wieder „Querdenken“-Teilnehmer:innen durch den Protest anreisen. Dabei trugen sie weder Maske, noch hielten sie Abstand zu den Menschen. Es kam zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen den Teilnehmer:innen beider Veranstaltungen. Gelegentlich griff die Polizei ein und begleitete die „Querdenken“-Teilnehmer:innen zu ihrem Platz.

Über 1.000 Neonazis und Hooligans bei „Querdenken“ vertreten

An diesem Samstag reisten auch Neonazis aus dem Umfeld der NPD, der Partei „Die Rechte“ und andere gewalttätige Gruppierungen an. Die meisten von ihnen trugen dabei Sturmhauben, Schlauchtücher und szenetypische Bekleidung. Auch Fußballhooligans schlossen sich diesen an. Schon am Bahnhof kam es hier zu Übergriffen: Journalist:innen berichteten, dass sie von dieser Gruppe bedroht, gejagt und teils angegriffen wurde. Die Polizei sah sich nicht in der Verantwortung, dagegen vorzugehen.

Zahlreiche Neonazis und Hooligans nahmen an dem „Querdenken“ Aufmarsch teil und randalierten später in der Leipziger Innenstadt.

Im Gegenteil: Mindestens ein Dutzend Journalist:innen wurden im Bahnhof durch die Polizei festgehalten. Ihre Ausweise wurden überprüft und teilweise abgeschrieben bzw. abfotografiert.

Währenddessen veranstaltete „Querdenken“ mit minimaler Polizeipräsenz ihre Kundgebung. Auch nach mehreren Aufforderungen durch die Polizei und die Versammlungsbehörde wurden die Auflagen nicht eingehalten. Die Drohung mit Räumung blieb jedoch nichts weiteres als eine Drohung. „Querdenken“ selbst löste dann ihre Kundgebung auf und zogen durch die Innenstadt. Die Polizei versuchte mehrfach den Aufzug zu stoppen, jedoch ohne Erfolg.

Im Zuge dessen kam es zu teils extremen Übergriffen auf Polizeibeamt:innen. Diese wurden aus nächster Nähe mit Pyrotechnik beworfen, es flogen Steine und andere Gegenstände. Auch Journalist:innen wurden gezielt attackiert. Einzelne Journalist:innen berichteten, dass mindestens ein Mensch gezielt mit Tritten und Schlägen traktiert wurde. Die Polizei zeigte sich den ganzen Tag über nicht willens, für die Sicherheit der Journalist:innen und die Durchsetzung der Pressefreiheit einzustehen. Im Gegenteil: Es kam immer wieder zu Einschränkungen der Pressefreiheit. So wollten Beamt:innen einzelnen Journalist:innen das Verwenden spezieller Objektive verbieten.

Die Übergriffe und Ausschreitungen zogen sich über den restlichen Tag und die Polizei zog sich lediglich immer weiter zurück. Am Ende begleiteten sie lediglich den Aufzug, sperrten Straßen ab und schickten Passant:innen weg. Laut aktueller Corona-Schutz-Verordnung von Sachsen sind Aufzüge verboten.

Journalist:innen, Politiker:innen und Bürger:innen zeigen sich aufgrund dieses Verhaltens schockiert. Die Parteien Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen fordern Aufklärung und Konsequenzen. Die Rücktrittsrufe an Innenminister R. Wöller (CDU) und Ministerpräsident M. Kretschmer (CDU) werden lauter. Es ist von geplantem Staatsversagen die Rede.

Nachtrag: Erneut hunderte Corona-Leugner:innen auf Sachsens Straßen und eine Pressekonferenz ohne Presse und Fragen

Nach den Ausschreitungen in Leipzig am 07. November 2020, folgten, direkt am Tag darauf, mehrere unangemeldete Veranstaltungen in Leipzig, Dresden und Görlitz. In Leipzig trafen sich über 300 Menschen nahezu unbeachtet von der Polizei Sachsen am Völkerschlachtdenkmal. Hier wurden, wenig überraschend, die Auflagen, wie das Tragen von Mund-Nase-Schutz, nicht eingehalten und auch nicht durchgesetzt. Vor Ort wurde mind. ein:e Journalist:in von den „Querdenker:innen“ angegriffen. Der betroffene Mensch wurde direkt im Nachgang von der Polizei festgesetzt, die Täter:innen mussten nichts fürchten. Die Polizei drohte dem journalistisch tätigen Menschen mit Ingewahrsamnahme, Platzverweis und dem endgültigen Entzug des Presseausweises.

Wenige Stunden später in Dresden wurde auf dem Neumarkt durch Ralf Ludwig („Querdenken“-Anwalt und Wortführer dieser Bewegung) verkündet, man freue sich über die gestrige Teilnahme von u.a. der rechtsextremen NPD. Auch hier lauschten ca. 300 Leugner:innen den Reden, ohne Maske und Abstand. Die Polizei kontrollierte hier sporadisch die Maskenpflicht, gab sich aber mit jeder Art von „Attest“ zufrieden. Ein Großteil der Beamt:innen war am spontanen Gegenprotest eingeteilt. Hier folgten mehrere Beschwerden gegen die Veranstalter:innen, da sie zu laut seien. Im Rücken der Beamt:innen wurden derweil immer wieder Drohungen ausgesprochen.

Der Abend endete in Görlitz mit ca. 150-200 Corona-Leugner:innen. Auch hier kaum Polizei vor Ort, die ebenfalls wenig interessiert an dem Durchsetzen der Auflagen waren. Der angemeldete Gegenprotest stand etwas abseits mit Abstand und Masken, trotzdem gab es immer wieder anlasslose Kontrollen von Gegendemonstrant:innen durch die Polizei.

Während in Sachsen also wieder hunderte teils gewaltbereite Menschen ohne Masken und Abstände durch Sachsen fuhren, hielt der Innenminister R. Wöller (CDU) und der amtierende Ministerpräsident M. Kretschmar (CDU) eine Ansprache ab, die über Sachsen hinaus schockiert.

Kretschmar (CDU) kündigt an, nach den Szenen in Leipzig zum 07. November 2020, die Coronaschutzverordnung weiter zu verschärfen. Das ist ein Schlag ins Gesicht für all jene, die sich an die Verordnungen halten und ein weiterer Freibrief für Corona-Leugner:innen und Randalierer:innen. Die Verordnung ist in dieser Form teils ausreichend genug, sie muss nur auch für alle Menschen gelten. In seiner Rede vergaß der Ministerpräsident die Anwesenheit von Neonazis und Hooligans zu benennen und fand auch keine Worte zu den teils massiven Übergriffen auf Polizeibeamt:innen und Journalist:innen.

Innenminister Wöller (CDU) versuchte die Schuld dem OVG Bautzen zuzuschieben. Die Polizei sei niemals in der Lage gewesen, den Infektionsschutz zu sichern. Außerdem habe die Polizei eine gute Arbeit gemacht und dafür gesorgt, dass der Tag „friedlich“ verlief. Auch hier keine Worte zu Angriffen auf Polizeibeamt:innen und Journalist:innen, kein Wort über Neonazis und Hooligans.

„Der Polizei vorzuwerfen sie hätte versagt, ist unsachlich und völlig abwegig. Dies weise ich entschieden zurück. Wir stehen voll hinter unseren Polizisten, die ausgezeichnete Arbeit leisten.“

sächsischer Innenminister R. Wöller (CDU)

Journalist:innen die vor Ort waren zeigen sich schockiert: Zwar war viel Polizei bei den Gegenprotesten eingeteilt, in entscheidenden Momenten ließen diese sich aber von Neonazis und Hooligans überrennen, so z.B. Tim Mönch (Journalist)

Rücktrittsforderungen für Ministerpräsident Kretschmar (CDU) und Innenminister Wöller (CDU)

Der Koalitionsfriede in Sachsen bröckelt. Die SPD, Die Linke und Bündis 90/ Die Grünen zeigen sich schockiert und fordern Aufklärung und Konsequenzen. Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz verurteilt die Gewalt, die am 07. November 2020 in Leipzig zu sehen war. Horst Seehofer (CSU) jedoch appelliert weiterhin an das Vertrauen in die Polizei und hält wenig von den Analysen der vor Ort berichtenden Journalist:innen.

„Wir müssen aufhören, die Taktik der Polizei im Nachhinein ohne Kenntnis von Detail und ohne vollständiges Bild per Ferndiagnose zu hinterfragen. […] Die Polizei hat meine volle Rückendeckung“

Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat H. Seehofer (CSU)

Sachsen wird so schnell wohl diesmal nicht zur Ruhe kommen. Mit dem geplanten Staatsversagen wurden nicht nur Journalist:innen in Gefahr gebracht und Polizist:innen verheizt, sondern jeder Mensch in Deutschland begegnet nun einer größeren Wahrscheinlichkeit der Ansteckung mit dem Virus COVID-19.

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