Auf Tuchfühlung: Zu Besuch bei Kassem Taher Saleh
Am 26. September 2021 wurde der neue Bundestag gewählt und nach 16 Jahren die CDU in die Opposition geschickt. Die Ampel-Koalition, bestehend aus Bündnis 90/Die Grünen, der SPD und der FDP, bildet die Regierungsmehrheit. Mit ihr kamen viele neue Gesichter in den Bundestag: Jünger, Diverser und in ihren Koffern viele neue Ideen.
Das gilt auch für Kassem Taher Saleh, der für den Wahlkreis Dresden-Süd nach Berlin gezogen ist. 1993 in Zakho (Irak) geboren, wuchs er in Plauen im Vogtland auf und spielte leidenschaftlich Fußball. Das, was er im Fußball lernte, hilft ihm heute auch in der Politik.
Wo andere oft abstrakt von irgendwelchen Rechten und Nazis reden, habe ich am eigenen Körper erfahren, was es heißt, vorbestrafte Nazis auf dem Platz wiederzusehen und rassistisch von ihnen beleidigt zu werden. Auf der anderen Seite gibt es im Sport zahlreiche Initiativen, Organisationen und Vereine, die sich für ein offenes und gerechteres Sachsen einsetzen. Diese Erfahrungen finden sich in einer meiner politischen Grundüberzeugungen wieder – das rechte Gefahrenpotential in Deutschland muss endlich ernst genommen werden und unsere Demokratie nachhaltig gestärkt und gestützt werden.
Kassem Taher Saleh
2018 wurde er deutscher Staatsbürger, 2019 trat er bei den Grünen ein, 2020 kandidierte er bei den Bundestagswahlen und schaffte direkt den Einzug. Hier ist er nun als Vorsitzender im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen tätig. Außerdem ist er stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Klima und Energie und sitzt im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.
Über das Bundespresseamt hat er nun interessierte Dresdner*innen nach Berlin eingeladen, um die Stadt und ihn, sowie seine Arbeit, näher kennen zu lernen. So sammelte sich am Dresdner Hauptbahnhof eine bunte Gruppe: Flüchtlingshelfer*innen von Willkommen in Löbtau, ehrenamtliche Unterstützer*innen für die Grünen, aber auch eine Gruppe Geflüchteter nahm an dem Ausflug teil. Sie kommen aus Sachsen, Brandenburg, Afghanistan, dem Libanon oder aus Palästina. Zwei Tage hatte die Gruppe Zeit, viel zu knapp bemessen, meinte der vom Bundespresseamt gestellte Reiseführer. Dieser erzählte, was man alles noch sehen müsste, aber nicht kann, weil die Zeit fehlt. So waren wir auch eine der wenigen Gruppen, die nicht den Bundestag besichtigen durfte. Kassem Taher Saleh selbst setzte sich bei unserem Besuch im Paul-Löbe-Haus dafür ein, dass wir wenigstens einen Ausschusssaal sehen können.
Im Paul-Löbe-Haus selbst gab es dann die Möglichkeit, ins Gespräch mit dem Abgeordneten Kassem Taher Saleh zu kommen. Kritische Fragen wurden gestellt, Anregungen mitgegeben. Dabei ging es um die aktuelle internationale Politik: um die Ukraine, um den Umgang mit Russland, um Qatar und den Irak. Es ging um die umstrittenen Waffenlieferungen in die Ukraine und die Verhandlungen von Robert Habek (Die Grünen) mit dem Land Qatar, die regelmäßig wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen auffallen. Aber es ging auch um die Sorgen hier in Deutschland: Steigende Mieten und Nebenkosten. Um die Nachhaltigkeit in Dresden und Sachsen. Die Gruppe zeigte sich beeindruckt: „Man merkte ihm wirklich an, dass es ihn beschäftigt!“, fasste ein*e Teilnehmer*in kurz zusammen.
Bundespresseamt verfehlt Thema der Reise
Das vom Bundespresseamt vorbereitete Programm verfehlte das politische Thema der Reise. Hastig besuchte man Museen, der Reiseleiter betonte immer wieder, man habe keine Zeit. „Schnell schnell!“ wurde man beispielsweise durch das Humboldt-Forum gescheucht. Dieses steht international in der Kritik, da diese unkritisch mit der Kolonialzeit und den erbeuteten Raubgütern umgehen sollen. So war es nicht verwunderlich, dass die erste Frage genau das beinhaltete. Der Reiseleiter machte mehrfach klar: Diese Ausstellungsstücke seien keine Raubgüter, sondern einzigartige Exponate, die die Europäer*innen „gerettet“ haben. Ein kolonialistisch-rassistisches Bild. Für ihn war die Diskussion damit beendet.
Leider fiel der Reiseleiter immer wieder negativ auf: Vor der Reise musste die Gruppe Essensgewohnheiten den Reiseleiter*innen mitteilen. So war klar, dass mehrere Menschen muslimischen Glaubens an der Fahrt teilnahmen. Trotzdem bestellte der Reiseführer, ohne überhaupt mit der Gruppe zu reden, in den Restaurants Schweinefleisch. Auch bat er mehrfach, dass die Männer ihre Taschenmesser nicht mit in das Paul-Löbe-Haus mitnehmen dürften und sprach abwerten von „den Ausländern“ in Berlin. Der Tiergarten wurde laut ihm vor allem von „den Türken“ und „nackten Homosexuellen“ besucht. Über den Zweiten Weltkrieg sprach er sichtlich ungern: Am Mahnmal für die ermordeten Jüd*innen erzählte er lieber über die Vertretung des Landes Rheinland-Pfalz gegenüber.
Die Gruppe ließ sich davon nicht weiter beirren und betonten am Ende der Reise, dass die Fahrt gut war und das gerade das Gespräch mit Kassem Taher Saleh die meisten beeindruckt hat. Drei Mal im Jahr kann ein*e Bundestagsabgeordnete*r bis zu 50 Menschen nach Berlin einladen. Auch wenn für Dresden immer nur lediglich zwei Tage vorgesehen sind, würden viele die Reise in die Hauptstadt noch einmal machen.